In diesem Blog definiere ich die Begriffe und erkläre anhand von Beispielen, worum es dabei geht.
Was ist ein Trauma?
Die Psychologie beschreibt ein Trauma als ein Ereignis, bei dem die eigene körperliche, psychische oder sexuelle Integrität verletzt wird, oder man wird Zeuge davon, dass dies einer anderen Person geschieht. Traumata werden in der Internationalen Klassifikation der Störungen (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als kurz- oder langanhaltende Ereignisse oder Geschehen von außergewöhnlicher Bedrohung oder katastrophalem Ausmaß definiert, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden.
Unter diese Definition fallen Unfälle, Verbrechen, Naturkatastrophen, sexueller Missbrauch, Krieg, Folter, häusliche Gewalt und weitere sehr bedrohliche Situationen. Ich erkläre Ihnen den Begriff des Traumas anhand der folgenden vier Beispiele:
Alice fährt mit ihrer Kollegin über die Autobahn. Es ist dunkel und regnet leicht. Sie hält sich ans Tempolimit. Aus dem Nichts taucht plötzlich ein Stauende auf. Sie hat keine Chance rechtzeitig zu bremsen und fährt in das hinterste Auto. Beim Unfall verletzt sie sich schwer, ihre Beifahrerin stirbt.
Evelyn war bis spät nachts in der Disko. Sie war zunächst mit einer Gruppe unterwegs, doch zum Schluss war sie nur noch mit einem jungen Mann da, den sie wenig kannte. Sie wurde müde und wollte nach Hause gehen. Der Mann bot an, sie zu begleiten. Da sie etwas Angst verspüre nachts allein in der Grossstadt, nahm sie da Angebot gerne an. Als sie ein kurzes Stück durch einen Park gingen, zog er sie in ein Gebüsch und vergewaltigte sie.
Nils ist mittlerweile ein erwachsener Mann. Ungern erzählt er davon, was früher während seiner Kindheit passiert ist. Seine Mutter liess sich scheiden, als Nils 5jährig war. Da sie arbeiten musste, liess sie den Jungen tagsüber bei einem schon älteren Paar aus der Nachbarschaft. Der Mann verging sich an Nils über Jahre hinweg. Dieser getraute sich nicht der Mutter davon zu erzählen, da er fürchtete, dass sie dann wütend auf ihn sei und ihm die Schuld geben würde. Einer Lehrerin von Nils fiel der schweigsame Junge mehr und mehr auf und die Geschehnisse kamen ans Licht. Der sexuelle Missbrauch von Nils hatte viele Jahre angedauert.
Manuel war Berufssoldat und im Ausland im Einsatz gewesen. Dort hatte er mehrere kriegsbedingte Traumata erlebt, unter anderem der Tod von Zivilisten. Nun ist er seit wenigen Tagen zurück aus seinem Einsatz und in Sicherheit, doch er träumt nachts von den Ereignissen. Er ist aggressiv seiner Frau und seinen Kindern gegenüber und gerät immer wieder in Konflikte. Er kriegt die Bilder einfach nicht aus seinem Kopf. Nachts schläft er schlecht.
Es gibt verschiedene Traumata
Die vier oben beschriebenen Traumata zeigen die weite Bandbreite dieser Ereignisse. Traumata können sehr verschieden aussehen. Es gibt unfallbedingte (Alice) sowie durch Menschen verursachte Traumata (Evelyn, Nils, Manuel). Es gibt solche, die kurzfristig und einmalig passieren (Alice und Evelyn) und solche, die über mehrere Wochen, Monate oder gar Jahre erfolgen (Nils und Manuel).
Die Forschung zeigt, dass kurzfristige, einmalige und unfallbedingte Traumata weniger häufig in Fehlanpassungen münden als durch Menschen verursachte, sich wiederholende und lang andauernde Traumata.
Was ist eine posttraumatische Belastungsstörung?
Das Erleben eines Traumas ist eine notwendige, aber keine hinreichende Voraussetzung für die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung (kurz: PTBS). Das bedeutet, dass nicht jeder, aber einige Personen nach einer Traumatisierung eine PTBS entwickeln. Ob sich eine solche entwickelt, ist von vielen weiteren Faktoren abhängig. Dazu gehören Schutzmerkmale einer Person wie soziale Unterstützung und gesellschaftliche Anerkennung als Opfer sowie Risikofaktoren wie frühere Traumatisierung und psychische Vorerkrankungen.
Die PTBS weist drei Kriterien auf, die mindestens vier Wochen erfüllt sein müssen, damit diese psychische Diagnose gestellt werden darf:
Intrusionen: Dabei handelt es sich um Symptome des Wiedererlebens. Dazu gehören Flashbacks, Alpträume, Erinnerungen. Dieses Wiedererleben passiert mit einem, ohne dass man es möchte.
Hyperreaktivität: Das beinhaltet Symptome der Übererregung. Also: Schlafstörungen, Reizbarkeit, erhöhte Wachsamkeit und Schreckhaftigkeit.
Vermeidungsverhalten: Betroffene Personen vermeiden alles, was mit dem Trauma in Zusammenhang steht. Sei es Personen, Situationen, Orte, Gegenstände und weiteres.
Damit einhergehend verlieren von einer PTBS Betroffene Personen oftmals das Vertrauen in andere Personen. Auch wird das eigene Selbstbild erschüttert oder der Glaube an eine gute Welt untergraben. Auf der emotionalen Ebene können sich unangenehme Gefühle zeigen wie Schuld- und Schamgefühle. Für Betroffene ist die Alltagsbewältigung oft eingeschränkt.
Alice aus dem obigen Beispiel verbrachte mehrere Wochen in einem Spital und konnte dann ohne bleibende Schäden entlassen werden. Ihr stabiles und wohlwollendes soziales Netzwerk fing sie auf. Sie weiss, dass sie keine Möglichkeit gehabt hatte, den Tod der Kollegin zu verhindern und gibt sich nicht die Schuld dafür. Sie begab sich zwar in eine psychologische Beratung, entwickelte aber keine PTBS. Anders war es bei Evelyn. Auch sie begab sich in Behandlung, wo eine PTBS diagnostiziert wurde. Evelyn litt an den typischen Symptomen einer PTBS. Nachts träume sie vom Ereignis, tagsüber drängten sich wiederholt Erinnerungen an das Ereignis auf, sie konnte kam abschalten (Intrusionen). Sie war schreckhafter als zuvor, schlief schlecht und wirkte allgemein sehr nervös (Hyperreaktivität). Sie vermied es seither, nachts auszugehen, traf auch keine Männer mehr (Vermeidungsverhalten).
Was ist eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung?
Betroffene von früh erfolgten, sich wiederholenden und langjährigen und insbesondere von Menschen herbeigeführten Traumata entwickeln oft eine posttraumatische Symptomatik, die über diejenige der PTBS hinausgeht. Kommen die nachfolgend aufgeführten Symptome zu den Symptomen einer PTBS dazu, dann handelt es sich um eine sogenannte komplexe PTBS (kurz: KPTBS):
Störung in der Emotionsregulation: Probleme im Umgang mit Gefühlen, bspw. mit Ärger und Wut, impulsive Durchbrüche.
Negative Selbstwahrnehmung: Die Überzeugung, minderwertig oder wertlos zu sein.
Beziehungsstörungen: Schwierigkeiten, zwischenmenschliche Beziehungen aufzubauen sowie aufrecht zu erhalten.
Nils aus dem obigen Beispiel entwickelte eine KPTBS. Immer wieder bereiteten ihm seine intensiven Emotionen Probleme, er wusste kaum wie mit diesen umgehen (Störung der Emotionsregulation). Er empfand sich selbst als minderwertig und schlecht. Er meinte, dass alle anderen Menschen auf der Erde besser seien als er, dass er nichts könne und ihm nichts gelinge (negative Selbstwahrnehmung). Seine Beziehungen hielten stets nur kurz, langjährige Freundschaften hatte er keine (Beziehungsstörungen). Darüber hinaus zeigte er die Symptome der PTBS ebenfalls (Intrusionen, Hyperreaktivität, Vermeidungsverhalten). Manuel hingegen hat sich wenige Wochen nach seiner Rückkehr und damit einhergehender Beendigung seiner Zeit als Berufssoldat wieder regenerieren können. Er arbeitet mittlerweile in einem Hilfswerk für Flüchtlinge und sieht darin den Sinn der Wiedergutmachung. Es war weder eine PTBS noch eine KPTBS bei ihm zu diagnostizieren.
Wie häufig kommt das vor?
Man geht davon aus, dass von 100 traumatisierten Personen 8-15% eine PTBS oder eine KPTBS entwickeln.
Weitere Störungen
Nebst den beschriebenen beiden Störungsbildern (PTBS und KPTBS) können sich weitere oder andere psychische Störungen entwickeln. Dazu gehören Suchstörungen wie auch Depressionen. Gerade Süchte bilden sich oft aus dem Wunsch heraus aus, die Symptome der PTBS oder KPTBS mit Suchtmitteln abzumildern. Dies ist eine Form von Selbstmedikation, die in einer Sucht enden kann. In einem solchen Fall ist nicht nur die Suchtstörung, sondern auch die zugrunde liegende Traumafolgestörung zu therapieren.
Gibt es eine Lösung?
Ja, die gibt es, denn Traumafolgestörungen können anhand von Psychotherapie wirksam behandelt werden. Es gibt verschiedene Therapiemethoden, die je nach Schweregrad und Komplexität der Traumafolgestörung ausgewählt werden. Wenden Sie sich bei einem Verdacht auf eine Traumafolgestörung an Ihren Hausarzt/Ihre Hausärztin, der Sie an eine Psychotherapeutin/einen Psychotherapeuten weiter überweist.
Mittlerweile ist Evelyn über den Berg. Sie hat Ihre auf das Trauma ausgerichtete Psychotherapie zu Ende absolviert und lebt ihr Leben wieder mit viel Freiheit. Nils ist weiterhin in psychotherapeutischer Behandlung. Dadurch gelang es ihm zwischenzeitlich, eine IV-gestützte Lehre zu absolvieren und bald startet er seine erste, reguläre Arbeitsstelle.
Lesetipps
Reddemann, L. (2018). Trauma heilen. Ein Übungsbuch für Körper und Seele. Trias: Stuttgart.
Autorin
Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M.
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