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Was bedeutet häusliche Gewalt und was kann man tun?

In diesem Blog-Beitrag wird häusliche Gewalt definiert und anhand eines Beispiels veranschaulicht. Zudem werden Möglichkeiten beschrieben, wie auf häusliche Gewalt reagiert werden kann.



Ein Beispiel


Es ist später Abend und das Ehepaar Anna und Robert streitet. Sie befinden sich im Schlafzimmer, das gemeinsame Baby schläft in seinem Bettchen neben dem Elternbett. Der Konflikt schaukelt sich hoch. Anna teilt Robert mit, dass sie die Beziehung so nicht weiterführen könne. Daraufhin wird sie von Robert bedroht: "Schweig sofort, sag kein Wort mehr oder ich schlage dich!" Anna weicht zurück und sagt: "Hör auf! Du machst mir Angst." Daraufhin schlägt er sie mit der Faust ins Gesicht. Anna wird tags darauf ein blaues Auge haben. Dann packt Robert sie am Nacken und drückt Anna Kopf voran auf die Matratze. Anna bekommt keine Luft mehr. Ihr geht durch den Kopf, dass das vielleicht ihre letzten Sekunden auf dieser Welt sind. Sie wehrt sich nicht, ist wie eingefroren, starr vor Angst. Auf einmal lässt Robert doch noch los und Anna schnappt nach Luft. Benommen bleibt sie einen Moment sitzen, versteht nicht, was soeben passiert ist. Er geht derweilen auf den Balkon, um eine Zigarette zu rauchen, und sagt im Weggehen: "Du bist zu nichts zu gebrauchen. Das ist alles deine Schuld."


Was ist häusliche Gewalt?


Häusliche Gewalt bezieht sich auf Gewaltereignisse zwischen Personen, die in einer bestehenden oder beendeten Beziehung leben. Es spielt keine Rolle, ob die Partner verheiratet sind oder waren oder nicht. Die häusliche Gewalt passiert in der gemeinsamen oder in der eigenen Wohnung, aber auch in der Öffentlichkeit sowie an anderen Orten. Häusliche Gewalt betrifft in der Mehrzahl der Fälle Frauen, doch auch Männer können betroffen sein.


Häusliche Gewalt weist viele Formen auf. Dazu zählen:

  • Körperliche Gewalt, wie zum Beispiel: schubsen, packen, ohrfeigen, schlagen, würgen, nötigen.

  • Sexuelle Gewalt, wie zum Beispiel: sexuelle Nötigung und Vergewaltigung.

  • Psychische Gewalt, wie zum Beispiel: beschimpfen und bedrohen.

  • Soziale Gewalt, wie zum Beispiel: demütigen, bevormunden, kontrollieren, wirtschaftlichen Druck ausüben.


Es handelt sich also nicht "nur" um körperliche Gewalt. Bereits die Androhung ebensolcher oder auch die Beschimpfung fällt in die Kategorie häusliche Gewalt. Im Grunde genommen liegt häusliche Gewalt vor, wenn ein Partner durch den anderen unterdrückt, in seiner Freiheit eingeschränkt oder in seiner Integrität verletzt wird sowie ein Machtverhältnis vorliegt.


In der Regel beginnt häusliche Gewalt schleichend und entwickelt sich allmählich. Oft nimmt die Schwere oder die Intensität der häuslichen Gewalt im zeitlichen Verlauf zu. Es kann sich bis zur Tötung steigern.


Im Verlauf ist häufig eine Gewaltspirale erkennbar. Das bedeutet, dass es nach einer Gewaltphase zu einer Versöhnungsphase kommt, woraufhin erneut eine (oft schwerere oder intensiverere) Gewaltphase kommt, auf die abermals eine Versöhnungsphase folgt - und so weiter. Die Spirale dreht sich. Dieses Muster ist oft schwierig zu durchbrechen, was erklärt, warum von Gewalt betroffene Personen die Gewalt ausübende Person leider meist nicht nach dem ersten Übergriff verlassen, sondern noch mehrere Phasen durchlaufen werden.


Wann kommt es zu häuslicher Gewalt?


Meistens setzt häusliche Gewalt dann ein, wenn es zu Veränderungen in der Lebenssituation eines Paares kommt. So stellt zum Beispiel die Covid-19-Pandemie viele Beziehungen vor enorme Herausforderungen. Das bislang geführte Leben wurde unterbrochen, Arbeitsplätze wurden bedroht, die Gesundheit wurde gefährdet, Freunde und Familienmitglieder konnten zum Teil lange Zeit nicht persönlich aufgesucht werden und vieles mehr. Der Lockdown hat dazu geführt, dass bereits bestandene Paarkonflikte verschlimmert wurden oder dass diese überhaupt erst entstanden sind.


Es braucht jedoch keine negativen Lebensveränderungen, damit häusliche Gewalt einsetzt. Auch scheinbar positive Lebensveränderungen können Stress auslösen. Im oben dargestellten Beispiel kam es zur Geburt eines Kindes, ein eigentlich sehr positives Lebensereignis. Dennoch destabilisierte es das Paar so sehr, dass der Weg zu häuslicher Gewalt eingeschlagen worden war.


"Einfach so" und aus heiterem Himmel setzt häusliche Gewalt kaum ein, doch es müssen nicht immer grosse Veränderungen in der Lebenssituation des Paares vorliegen. Es können auch kleinere, subtilere Dinge sein.


Wie kann häusliche Gewalt von aussen erkannt werden?


Häusliche Gewalt geht oft mit Scham einher. Von häuslicher Gewalt möchte niemand betroffen sein und wenn es doch so ist, dann möchten es die meisten nicht publik machen. Entsprechend verdecken Betroffene oft Spuren, sodass von aussen häufig wenig bemerkt werden kann. Wer allerdings genau hinschaut, kann doch das eine oder andere erkennen. Es kann unter anderem auf die folgenden Punkte geachtet werden:

  • Betroffene ziehen sich zurück, nehmen vermindert an sozialen Aktivitäten teil.

  • Betroffene sind gereizter und es kommt öfters zu Konflikten.

  • Betroffene Personen sind stiller als sonst, oder auch lauter als sonst. Sie reden entweder weniger oder reden auch mehr (auch wenn nicht unbedingt über die häusliche Gewalt).

  • Betroffene konsumieren vermehrt Alkohol, Zigaretten oder auch andere potenziell schädliche Substanzen.

  • Betroffene weisen Verletzungen auf, bspw. an den Handgelenken, an den Oberarmen oder wie Anna ein blaues Auge und Würgemale. Damit einhergehend versuchen Betroffene ihre Verletzungen zu verstecken, bspw. indem sie lange Ärmel anziehen, einen Schal oder eine Sonnenbrille tragen.


Weiter mit dem obigen Beispiel


Anna schämt sich für das, was vorgefallen ist. Sie weiss nicht, was tun. Sie hat grosse Angst vor Robert, gleichzeitig hat sie auch grosse Angst vor der ungewissen Zukunft, die käme, wenn sie ihn verliesse. Sie fürchtet, allein erziehend zu werden und vom Sozialamt leben zu müssen. So wähnt sich Anna in einer Zwickmühle. Sie will auf keinen Fall bei Robert bleiben, denn sie hat Angst vor weiteren Übergriffen und in einer gewalttätigen Beziehung möchte sie ohnehin eigentlich nicht sein. Sie will aber auch nicht gehen, denn sie hat Angst vor dem, was kommen würde. Und weil sie sich nicht entscheiden kann, bleibt sie bei Robert.


Sie erzählt niemandem von der häuslichen Gewalt, ausser ihrer Freundin Miriam. Mit dieser ist sie seit vielen Jahren befreundet. Miriam hört ihr zwar zu und findet ganz schlimm, was sie zu hören bekommt, doch sie unternimmt nichts. Obwohl es bei Anna und Robert ungefähr einmal pro Monat zu Gewaltvorkommnissen kommt, die zunehmend schlimmer werden bis zum aktuellen Tötungsversuch, verständigt Miriam niemanden.


Ist häusliche Gewalt Privatsache?


Ganz klar: Nein! Wenn Sie den Verdacht hegen, dass jemand in Ihrem Umfeld davon betroffen ist, dann schauen Sie nicht weg. Wegschauen ist keine Lösung. Sprechen Sie die betroffene Person besser gestern als morgen auf den Verdacht an. Schaffen Sie dazu einen ruhigen Moment in entspannter Atmosphäre. Oder Sie lassen sich von der Opferhilfe Schweiz (siehe unten) beraten und zwar dahingehend, wie Sie der eigentlich betroffenen Person helfen können.


Es ist wichtig, dass Sie zwar handeln, dass Sie sich aber nicht selbst in Gefahr bringen. Im Zweifelsfall rufen Sie die Polizei - lieber einmal zu viel als einmal zu wenig.


Was tun als betroffene Person?


Der Weg aus einer gewaltgeprägten Beziehung ist nicht einfach, Sie brauchen viel Kraft und Mut. Einen gewalttätigen Partner zu verlassen ist aber in aller Regel die einzige Option. Holen Sie sich Unterstützung, sei es im Freundeskreis, in der Familie, in der Nachbarschaft, bei einer Psychotherapeutin, bei der Opferhilfe Schweiz oder bei der Polizei. Werden Sie aktiv - handeln Sie!


Wenn Sie sich in einer akuten Situation befinden und um Ihre Unversehrtheit fürchten, dann holen Sie jetzt Hilfe. Rufen Sie die Polizei. Die Telefonnummer lautet: 117 (Schweiz). Diese kann Schutzmassnahmen zu Ihren Gunsten einleiten. Sie kann die gewalttätige Person aus der Wohnung verweisen und ihr die Rückkehr verbieten oder Sie in eine geschützte Unterkunft bringen, zum Beispiel in ein Frauenhaus.


Übrigens bedeutet "akut" nicht, dass Sie bereits blaue Flecken aufweisen müssen. Verständigen Sie die Polizei auch dann, wenn Sie Angst vor Ihrem Partner haben, sich bedroht und kontrolliert fühlen.


Kennen Sie die Opferhilfe Schweiz?


Die Opferhilfe Schweiz ist für all diejenigen Personen die richtige Anlaufstelle, die Opfer einer Straftat geworden sind - häusliche Gewalt ist eine Straftat. Die Beratung durch die Opferhilfe Schweiz ist kostenlos, vertraulich und auf Wunsch anonym.


Hier ist der Link für die Website der Opferhilfe Schweiz. Dort finden Sie die Kontaktangaben.


Hier ist ein Kurzfilm von der Opferhilfe Schweiz, in dem erklärt wird, was die Opferhilfe macht.


Sollten Sie sich unsicher sein, ob die Opferhilfe Schweiz die richtige Anlaufstelle für Sie ist, dann melden Sie sich trotzdem. Die Opferhilfe wird Ihnen Auskunft geben, ob Sie richtig sind oder Sie allenfalls weiter vermitteln.


Was passierte im Fallbeispiel?


Obwohl Anna während der oben beschriebenen Gewaltsituation massive Ängste erlitten hat und sogar angenommen hat, zu sterben, hat sie sich nicht getraut, die Polizei zu verständigen. Anna hat es einzig ihrer Freundin Miriam erzählt, doch diese hat es verpasst, zu reagieren.


Nach dieser Gewaltepisode ist es etwa vier Wochen ruhig gewesen bei Anna und Robert. Dann aber kommt es wegen einer Lappalie zu einem Streit. Robert beschimpft Anna wieder und zwar sagt er: "Du bist krank! Eine blöde Kuh!" Sie antwortet, dass sie das nicht sei und lässt sich auf seine Provokationen ein. Daraufhin bedroht er sie und zwar mit den folgenden Worten: "Schweig, schweig, schweig! Oder ich mach, dass du für immer schweigst!" Kurz darauf packt Robert Anna an den Oberarmen, hebt sie hoch und wirft sie quer durchs Wohnzimmer. Anna landet unsanft halb auf dem Sofa, halb auf dem Boden. Das gemeinsame Baby schreit laut und panisch. Anna bekommt irrsinnige Angst, nimmt das Baby und schliesst sich im elterlichen Schlafzimmer ein. Robert poltert von aussen an die Tür und fordert lautstark die Herausgabe des Babys. Anna kommt dem nicht nach, sondern verständigt die Polizei. Wenig später erscheint diese und verweist Robert der Wohnung.


Die Polizei informiert Anna über die Opferhilfe Schweiz. Anna fasst Mut und kontaktiert diese. Mit deren Unterstützung begibt sich Anna auf den Weg raus aus dieser von Angst und Gewalt geprägten Beziehung. Zwar wird sie noch Jahre lang durch Robert bedrängt werden, doch sie verfährt nun jeweils nach dem Prinzip der Nulltoleranz und bringt alle Übergriffe durch Robert konsequent zur Anzeige. Anna ist nun seit mehreren Jahren allein Erziehende, das Kind ist wohlauf und entwickelt sich prächtig. Mit Miriam brach sie, sie sind nicht mehr befreundet. Anna ist glücklich, kein Opfer häuslicher Gewalt mehr zu sein.


Lesetipps


Schweizerische Kriminalprävention (2015). Zu Hause im Unglück.


Autorin


Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M.

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