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Selbstverletzungen


Bild zu Verfügung gestellt von Wasabifish

Sich ritzen, verbrennen, schlagen, beissen, den Kopf gegen die Wand hämmern, Zigaretten auf der eigenen Haut ausdrücken, Haare ausreissen, Wangen- und Lippenbeissen, schädliche Substanzen einnehmen – all das und noch viel mehr sind Möglichkeiten, sich absichtlich selbst zu verletzen. Dieses autoaggressive Verhalten ist nicht selten Thema in psychotherapeutischen Räumen, besonders auch bei Jugendlichen, und verunsichert Betroffene wie Umfeld mitunter sehr. Und so sollen Selbstverletzungen, die von ungefähr einem Drittel der Bevölkerung mindestens einmal im Laufe des Lebens ausgeübt werden, an dieser Stelle einmal angesprochen sein.

 

Zunächst einmal ist selbstverletzendes Verhalten von suizidalem Verhalten zu unterscheiden. Bei Letztgenanntem geht es darum, sich absichtlich selbst zu töten, was nicht das Ziel von Selbstverletzungen darstellt. Stattdessen resultieren Selbstverletzungen für gewöhnlich als Folge von intensiver innerer Anspannung oder immens intensiver Gefühle, und dient somit der Spannungsregulation. So betrachtet stellen Selbstverletzungen eine Art von Ventil dar, mittels dem Druck abgelassen werden kann – und zwar dann, wenn der (meist emotionale) Druck zu gross ist und keine anderen Ventile bekannt oder möglich sind. Durch die Selbstverletzungen werden starke Emotionen abgebaut. Betroffene verspüren dabei oftmals keinen Schmerz, sondern erleben eine Beruhigung und Erleichterung, manchmal sogar ein Glücksgefühl, was auch mit der Freisetzung von Endorphinen (sog. Glückshormone) zu tun hat. Umso mehr auf diese Weise mit innerer Anspannung umgegangen wird, umso mehr tritt ein Gewöhnungseffekt auf, sodass das Risiko für weitere Selbstverletzungen steigt, und nicht selten fallen diese dann stärker als zuvor aus.

 

Ein weit verbreiteter Irrglauben ist, dass Selbstverletzungen ausschliesslich im Rahmen der Borderline Persönlichkeitsstörung vorkämen, und sich selbstverletzende Personen ergo an Borderline litten. Durchaus kommt es bei dieser Personengruppe gehäuft dazu, so verletzen sich etwa 65-80% dieser Personengruppe selbst. Doch Selbstverletzungen kommen im Rahmen vieler weiterer psychischer Störungen vor, dazu gehören Depressionen, Essstörungen, Zwangsstörungen oder Psychosen. Und sie kommen auch vor, ohne dass eine psychische Störung vorliegt, sondern stattdessen eine momentan überfordernde Lebenssituation, mit der auf diese Weise gecoped wird.

 

Und was tut man nun dagegen? Selbstverständlich muss selbstverletzendes Verhalten wenn möglich unterbunden werden, insbesondere, weil in der Folge nicht selten Narben entstehen, die ein Leben lang sichtbar bleiben können, was für manche Betroffene eine Art Stigma ist, das sie ein Leben lang outet. Doch die Beendigung des Verhaltens gelingt nur dann, wenn die zugrundeliegende Problematik erkannt, verstanden und bearbeitet wird, und insbesondere auch neue Strategien erlernt werden, mittels denen Anspannungszuständen zukünftig begegnet werden kann.

 

Auf keinen Fall sollte Betroffenen Vorhaltungen und Vorwürfe gemacht werden. Sätze wie «Wer so was tut, der ist blöd», «andere sind doch viel schlimmer dran als du» oder «lass es doch einfach sein» bringen nicht nur nichts, sie können die Lage sogar noch verschlimmern und gelten als kontraproduktiv. Denn diese Aussagen «devalidieren», will heissen: Man fühlt sich nicht gesehen und nicht ernst genommen – genau das ist es aber, was am meisten benötigt wird: Ernst genommen zu werden, emotionale Nähe, liebevoller Zuspruch. Dies bedeutet weder Gutheissung noch Rechtfertigung, sondern Anerkennung der emotionalen Notlage, in der sich das betroffene Individuum aktuell befindet.

 

Sie kennen jemanden, der sich selbst verletzt? Psychotherapie ist Mittel der Wahl. Auf der Website der Föderation der Schweizer Psychologen (FSP) gibt es den sog. PsyFinder, ein online Tool, mittels welchem Fachpsychologen ermittelt werden können. Zögern Sie im Bedarfsfall nicht, denn auch wenn selbstverletzendes Verhalten nicht mit Suizidalität gleichzusetzen ist, darf nicht übersehen werden, dass ungefähr ein Drittel der Betroffenen beide Problematiken aufweist, dass sich etwa 10% derjenigen, die sich selbstverletzen, eines Tages suizidieren, und dass Selbstverletzungen unbeabsichtigt auch tödlich enden können, was die zweithäufigste Todesursache bei Jugendlichen nach tödlichen Strassenverkehrsunfällen ist.


Auch erschienen:


Davoser Zeitung vom 9. April 2024

Autorin:


Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M:

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