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Validierung: ein guter Umgang mit den Gefühlen anderer



Die Freundin hat schlecht geschlafen. Zerknirscht tappst sie morgens zur Kaffeemaschine, die Augen halb geöffnet, doch grösstenteils noch geschlossen. Ihr steht ein langer Tag bevor. Der Freund kommt frisch geduscht aus dem Badezimmer und lächelt sie breit an: "Guten Morgen, wie hast du geschlafen?" "Miserabel." antwortet sie. Er sagt: "Ist doch halb so wild. Das macht nichts."


Was passiert hier? Wie fühlt sich die Freundin bei der Besänftigungsaktion des Freundes? Fühlt sie sich Ernst genommen? Verstanden? Validiert?


Was ist Validierung der Gefühle?


In diesem Beispiel geht es um den guten Umgang mit den Gefühlen anderern, sprich um die Validierung der Gefühle (bzw. um einen Mangel davon). Das Wort "Validierung" bedeutet Gültigkeitserklärung der Gefühle des anderen. Die Freundin fühlt sich vom Freund wahrscheinlich nicht validiert. Sie fühlt sich nicht gesehen. Ihre Müdigkeit wird nicht anerkannt. Die beiden sind nicht miteinander verbunden.


Gleich noch ein Beispiel


Der 5jährige Sohn schleicht sich aus seinem Bett nach vorne ins Wohnzimmer zu den Eltern. Er sagt: "Mama, ich hab Angst." Die Mutter mag es nicht, wenn ihr Kleiner nach dem Zubettbringen nochmals aufsteht. Sie hat einen langen Tag hinter sich und benötigt Zeit für sich. Sie antwortet ihrem Sohn: "Quatsch, da ist nichts. Reiss dich zusammen." "Doch!" beharrt der Sohn. Unter meinem Bett ist ein Monster." "Es gibt keine Monster, das weisst du doch. Du hast keine Angst. Geh jetzt ins Bett!" weist die Mutter an.


Auch hier: Was meinen Sie, wie fühlt sich das Kind? Abgeholt und verstanden? Sicher und geborgen? Oder eher unverstanden und verwirrt?


Das Problem der mangelnden Validierung


Wenn Gefühle im Kindesalter wie auch im Erwachsenenalter nicht validiert werden, dann kann das nachhaltige, negative Konsequenzen nach sich ziehen. Besonders im Kindesalter kann sich bei wiederholtem Vorkommen ein ungünstiges Muster im Umgang mit Gefühlen herausarbeiten. Das oben dargestellte Kind lernt vielleicht, dass es keine Angst haben darf. Oder, dass es seinen Gefühlen nicht vertrauen kann - denn gemäss der Mutter ist die Angst, die es fühlt, gar nicht da. Aber was ist das Gefühl, das es fühlt, dann? Das oben vorgestellte Pärchen scheint nicht auf einer Wellenlänge unterwegs zu sein. Die Freundin fühlt sich auf diese Weise kaum verstanden und abgeholt, zudem bekommt sie nicht, was sie braucht, der Freund versteht nicht, was die Freundin hat. Unverständnis, vor allem, wenn es wiederholt aufkommt, pflastert den Weg zur Trennung.


Ungünstige Reaktionen auf Gefühle


Dabei kann die eigene Reaktion auf die Gefühle anderer in zwei Richtungen ungünstig sein: Unterdrücken und Überreagieren. Ich erkläre das im Folgenden:

  • Unterdrücken: Floskeln wie "macht doch nichts", "das ist doch nicht so schlimm", "jeder andere würde sich nicht so anstellen wie du" und so weiter tragen dazu bei, dass unser Gegenüber seine Gefühle unterdrückt. Wer seine Gefühle unterdrückt, der verpasst wichtige Informationen über sich selbst. Schliesslich sind Gefühle nichts anderes als Informationen über unsere Bedürfnisse. Die Wahrnehmung der eigenen Gefühle trägt dazu bei, die eigenen Bedürfnisse zu erkennen, was ein erster Schritt in Richtung Befriedigung der eigenen Bedürfnisse ist.

  • Überreagieren: Der Freund im obigen Beispiel hätte alternativ auch stark mitschwingen können. Er hätte sagen können: "Ach herrje, oh nein, du Arme! Der Tag ist gelaufen, das wird nichts mehr. Ich bin untröstlich. Die Welt ist untergegangen. Aus die Maus." In dem er die Gefühle seiner Freundin einfach angenommen hätte, hätte er überreagiert. Oder die Mutter im obigen Beispiel hätte sagen können: "Oh nein, ein Monster, da hab ich auch grosse Angst. Ich habe keine Ahnung, was tun!" Auch damit wäre keinem geholfen gewesen, die Gefühle wären nur weiter verstärkt worden.


Wie werden Gefühle validiert?


Gefühle werden validiert, in dem diese beachtet und benannt werden. Wir anerkennen die Gefühle anderer, in dem wir sie anerkennen, ohne dass wir sie werten. In den Beispielen von vorhin hätte der Freund sagen können: "Ach Mensch, ich sehe, dass du müde bist - das tut mir Leid für dich. Kann ich dir irgendetwas Gutes tun?" Oder die Mutter hätte sagen können: "Okay, ich sehe, dass du ängstlich bist. Wo spürst du die Angst? Vor was genau hast du Angst? Was brauchst du von mir? Wollen wir gemeinsam nachsehen? Oder möchtest du eine Weile bei mir sitzen?"


Was passiert, wenn auf diese Art und Weise reagiert wird? Die Freundin und das Kind beruhigen sich sehr wahrscheinlich. Beide fühlen sich wahrgenommen und akzeptiert - oftmals ist das bereits das Wichtigste. Eventuell kann anschliessend eine Lösung angeboten werden.


Kein Rosinen picken


Angenehme Gefühle zu validieren, ist einfach. Ist das Kind zufrieden, lacht, hat Freude, dann geht Validierung wie von alleine. Das ist anspruchsvoller, wenn es sich um unangenehme Gefühle wie Wut, Trauer, Angst, Ekel und so weiter handelt. Was dann? Dann genau dasselbe. Es werden keine Rosinen gepickt. Die Validierung der Gefühle bezieht sich auf alle Gefühle. Denn alle Gefühle dürfen sein, alle haben Daseinsberechtigung.


Validieren heisst nicht gutheissen


Die Gefühle der anderen so anzunehmen, wie sie sind, bedeutet nicht, sie stets gutzuheissen. Man muss nicht gut finden, dass sich das Kind im Supermarkt auf den Boden wirft, wenn es die Bonbons nicht bekommt. Zu validieren bedeutet in diesem Moment beispielsweise, das Gefühl des Kindes zu benennen ("du bist wütend"), in seiner Nähe zu bleiben (körperlich präsent zu sein), Bindung zu signalisieren (emotional präsent zu sein). Sobald sich der andere abgeholt fühlt, kann besprochen werden, wie die Situation gehandhabt werden soll.


Lesetipps


Auszra, L., Herrmann, I. & Greenberg, L. S. (2016). Emotionsfokussierte Therapie. Hogrefe.


Dehner-Rau, C. & Reddemann, L. (2019). Gefühle besser verstehen. Goldmann.


Autorin


Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M.

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