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Was ist Selbstwert?

Dieser Blog-Beitrag entstand gemeinsam mit Mia, einer Patientin von mir, in deren Behandlung ihr Selbstwert ein zentrales Thema war. Doch was bedeutet «Selbstwert» eigentlich?



Mias Geschichte


«Ich beende soeben einen 8wöchigen Klinikaufenthalt auf einer psychosomatischen Abteilung. Dieser Aufenthalt war die Alternative zu einem Aufenthalt in einer Psychiatrie, was mir wenig behagt hätte. Im Folgenden bringe ich zusammen mit meiner behandelnden Psychologin zu Papier, was mich hierhergeführt hat und was das mit meinem Selbstwert zu tun hat – und was das überhaupt ist.


In meinen bisherigen 15 Jahren auf dieser Erde hatte ich oft mit Menschen zu tun, die mich an meinem Selbstwert zweifeln liessen. Zum Beispiel war ich in meiner Schule massivem Mobbing ausgesetzt, was etwa vor zwei Jahre angefangen hat und bis zum Klinikeintritt andauerte. In der Folge besuchte ich die Schule immer weniger, bis ich mitunter wochenlang fehlte. Ich blieb einfach zu Hause und tat nichts. So entkam ich zwar all dem Schlechten, aber gleichzeitig erlebte ich auch kaum noch etwas Gutes. Ich versuchte, doch immer wieder zur Schule zu gehen, doch es fühlte sich stets wie ein Kampf an und abends fiel ich todmüde ins Bett. Die Anstrengung, mich diesem Ort auszusetzen, raubte mir meine ganze Kraft. Ständig hatte ich Angst, dass wieder ein Übergriff erfolge und manchmal war dem auch so. Das ging so lange, bis mein eigener Kopf den Worten meiner Mobber anfing, zu glauben, sodass ich schliesslich auch der Meinung war, dass ich zu nichts taugte.


Schliesslich wandelte sich mein psychischer Schmerz in körperlichen Schmerz um. Ich konnte nicht mehr richtig atmen und gehen, ich litt unter ständigen Bauchschmerzen, so kam ich ins Spital. Eine lange Reihe verschiedener Tests wurde durchgeführt, doch es konnte keinerlei organ-medizinische Ursache gefunden werden. Was war los?


Schliesslich wurde ich entlassen, einzig ein Termin bei einer Schmerztherapeutin stand noch aus. Diese meinte, dass die Schmerzen psychisch seien. Sie zeigte mir Atemübungen, die bei Schmerzen helfen sollten, aber das taten sie nicht. Ich hielt es nicht mehr aus, es musste sich etwas ändern. Und so landete ich schliesslich in dieser Klinik. In den letzten Wochen konzentrierte ich mich das erste Mal seit langer Zeit auf mich selbst und so gut wie jetzt ging es mir seit Beginn des Mobbings nicht mehr. Und in den Gesprächen mit Frau Dr. Krammer merkte ich, dass das auch mit meinem Selbstwert zu tun hat.»


Was bedeutet Selbstwert?


Mit Selbstwert ist die Bewertung gemeint, die man von sich selbst hat, zum Beispiel von den eigenen Eigenschaften und Fähigkeiten. Der Selbstwert wird sowohl davon beeinflusst, wie man sich aktuell einschätzt, als auch davon, wie man über die eigene Vergangenheit denkt.


Was sind die sechs Säulen des Selbstwerts?


Nathaniel Branden erarbeitete sechs Säulen, die zu einem gesunden Selbstwert beitragen:

  1. Säule: Das eigene Leben bewusst führen. Das bedeutet, dass das eigene Leben sinnvoll gestaltet wird, dass man im Einklang mit sich selbst und den eigenen Bedürfnissen lebt.

  2. Säule: Sich selbst wertschätzen. Das heisst, sich selbst so zu akzeptieren, wie man nun mal ist und wenn möglich auf Selbstkritik zu verzichten (aber natürlich selbstreflektiv zu sein). Dazu gehört, sich möglichst nicht mit anderen zu vergleichen oder stetig anderen gefallen zu wollen, sondern sich auf sich selbst zu konzentrieren, die eigene Linie zu ziehen und dazu zustehen.

  3. Säule: Übernahme von Verantwortung. Das will sagen, dass ein eigenverantwortlich geführtes Leben förderlich für den Selbstwert ist. Das Schicksal wird in die eigenen Hände genommen, ganz nach dem Motto: des eigenen Glückes Schmied sein.

  4. Säule: Für sich selbst einstehen. Das bedeutet, dass man die eigene Meinung vertritt, wozu auch gehört, dass man fähig ist, Nein-Sagen zu sagen.

  5. Säule: Ziele verfolgen. Es ist für den Selbstwert förderlich, ein zielgerichtetes Leben zu führen und stetig danach zu trachten, die eigenen Ziele umzusetzen.

  6. Säule: Sich selbst treu sein. Es ist wichtig, nach den eigenen Werten zu leben, sich selbst gegenüber loyal zu sein, persönliche Prinzipien zu haben und sich nicht zu verbiegen.


Ein Stück weit darauf basierend werden im Folgenden Möglichkeiten aufgezeigt, wie der Selbstwert verbessert werden kann.


Wie lässt sich der Selbstwert verbessern?


Es gibt mehrere Wege, den eigenen Selbstwert anzukurbeln:


Self-Time: Sich täglich ein paar Minuten Self-Time zu gönnen, steigert den Selbstwert. Wie diese Zeit ausgestaltet wird, ist jedem selbst überlassen. Der eine geniesst die Stille, geht in sich. Der andere braucht Bewegung, durchkreuzt einen nahegelegenen Wald oder macht Yoga. Wie auch immer: In diesen Minuten geht es ausschliesslich um einen selbst. Keine Zeit hierfür zu haben, ist als Ausrede zu verbuchen, schliesslich dürfte es so gut wie immer möglich sein, sich einige Minuten zu nehmen.


Komplimente: Ein kleines Kompliment zwischendurch ist immer angebracht und fördert zwischenmenschliche Banden. Komplimente sind eine Strasse, die in beide Richtungen führt. Nehmen Sie Komplimente an, auch wenn Sie es selbst vielleicht anders sehen. Lehnen Sie Komplimente ab, werden Ihnen irgendwann vielleicht keine mehr gemacht – das Ausbleiben von Komplimenten nährt wiederum die Selbstabwertung. Und wenn wirklich einmal keiner da ist, der ein Kompliment in die eigene Richtung aussprechen könnte, warum nicht selbst die Zügel in die Hand nehmen? Machen Sie sich täglich ein Kompliment.


Vergleiche: Soziale Vergleiche können den eigenen Selbstwert reduzieren. Dies dann, wenn allzu häufig mit Personen verglichen wird, die nicht erreichbar sind. Es wird immer jemanden geben der besser schreiben, schneller schwimmen und höher klettern kann. Besser ist immerhin, sich mit Personen zu vergleichen, die man übertrumpft. Oder sich möglichst nicht zu vergleichen. Wenn Sie den Hang haben, sich mit anderen zu vergleichen, dann versuchen Sie doch, sich von Vorbildern inspirieren zu lassen, von anderen zu lernen, anstatt sich vom Geschick anderer herunterziehen zu lassen.


Gutes tun: Jeder Tag sollte Einheiten beinhalten, in denen wir versuchen, Gutes zu tun. Jemandem beim Tragen der Einkaufstaschen zu helfen, jemanden freundlich grüssen und anlächeln, dem Partner einen feinen Kakao zubereiten. Das Gute darf und soll auch die eigene Person ereilen: Sich selbst einen leckeren Latte Macchiato zubereiten, einen Brownie gönnen, sich eine feine Badewanne herauslassen. Wer täglich sich und anderen Gutes tut, stärkt seinen Selbstwert und sorgt für innere Zufriedenheit sowie soziale Netze.


Ernährung, Schlaf und Bewegung: Der Selbstwert hängt auch vom Wohlbefinden des eigenen Körpers ab. Mitunter benötigt der Körper eine ausgewogene Ernährung, ausreichend Schlaf gemäss dem eigenen Schlafrhythmus sowie ein gewisses Mass an Bewegung.


Erfolge und Niederlagen feiern: Personen mit starkem Selbstwert feiern ihre Erfolge und können mit Niederlagen produktiv und konstruktiv umgehen. Feiern Sie sich selbst jeden Tag ein kleines Bisschen, dafür, was Sie schon geschafft haben und dafür, was noch kommen wird. Seien Sie versöhnlich und nachsichtig sich selbst gegenüber, wenn die Dinge mal nicht wie am Schnürchen laufen. Das Leben ist eine Berg- und Talfahrt. Feiern Sie die Feste, wie sie fallen.


Warum ist die Verbesserung des Selbstwerts nicht immer einfach?


Wer von sich ein negatives Selbstbild hat, neigt dazu, vorwiegend Informationen wahrzunehmen, die dazu passen. Als ob mitten auf der Nase eine Brille sitzt, die nur dunkles Licht durchlässt. So werden Informationen, die für ein positives Selbstbild sprächen, ausgeblendet. Weiter neigen Personen mit einem negativen Selbstwert dazu, Misserfolg als persönliche Schwäche zu werten und Erfolg auf Glück oder Zufall zurückzuführen. Auch wird der eigene Fokus häufig eher auf die eigenen Schwächen gerichtet anstatt auf die eigenen Stärken.


Zurück zu Mia


Ein guter Selbstwert führt zu einem hohen Wohlbefinden und auch bei Mia trug die Arbeit unter anderem daran zu einer Verbesserung ihres Zustands bei. Mia trat zwischenzeitlich aus der Klinik aus und wechselte die Schule. An der neuen Schule freundete sie sich rasch mit den Mitschülern an, Mobbing scheint kein Thema mehr zu sein. Die Arbeit an ihrem Selbstwert dauert weiter an, und üblicherweise geht das nicht von heute auf morgen. Ich wünsche Mia auf ihrem weiteren Weg alles Gute und bedanke mich für diesen gemeinsam erstellten Blog-Beitrag.


Autorinnen


Mia

Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M.

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