An manchen Klient:innen beisse ich mir die Zähne aus, andere therapieren sich selbst, stellenweise wird jemand ohne eigenes Anliegen geschickt und manchmal läuft es wie geschmiert. Unter den Klient:innen gibt es grosse Unterschiede. Die hier vorgestellte Typologie hilft dem Verständnis.
Die vier Beziehungstypen
Innerhalb der Psychotherapie gibt es verschiedene Schulrichtungen, wovon die systemische Psychotherapie eine ist. Der Grundgedanke dieser Richtung lautet, dass niemand in einem Vakuum lebt und das soziale Umfeld eine grosse Rolle für das Individuum spielt. Steve de Shazer und Insoo Kim Berg sind bekannte Vertreter dieser Schulrichtung. Auf Basis ihrer jahrelangen Erfahrung entwickelten sie vier Beziehungstypen, die ihnen in Therapiesituationen begegneten. Diese sind: Kund:innen, Kläger:innen, Besucher:innen und Co-Therapeut:innen. Nachfolgend eine Beschreibung.
Sind Sie Kund:in?
Frau Meier betritt die Praxis und schreitet zielstrebig zum Sofa. Sie lässt sich darauf nieder, nimmt Blickkontakt mit mir auf und lächelt freundlich zur Begrüssung. Ich sehe sie zum ersten Mal. Sie erzählt mir, dass jetzt der Zeitpunkt sei, etwas zu ändern. Sie sei seit längerer Zeit unzufrieden mit ihrer Arbeit, mit ihrer Beziehung, sogar mit ihrem Hund. Nun passen auch die Jeans nicht mehr, das gebe ihr den Rest. Sie sei hoch motiviert und möchte unbedingt lernen, zufriedener zu werden. "Bitte helfen Sie mir, das zu erreichen," bat sie.
Bei Frau Meier handelt es sich klar um den Typ der Kundin. Sie erkennt einen Veränderungswunsch und trachtet danach, diesen umzusetzen. Sie ist bereit, an der Zielerreichung mitzuarbeiten. Frau Meier glaubt an mich und meine Methoden und fühlt sich wohl bei mir, was wichtig ist für den therapeutischen Prozess. Im Laufe der gemeinsamen Arbeit erkennt sie ihre Veränderungsmöglichkeiten und setzt einige davon um.
Sind Sie Kläger:in?
Frau Loser sitzt auf der vordersten Stuhlkante. Sie redet schnell und weint dabei. Die Augen sind weit aufgerissen. Sie berichtet mir davon, wie stressig es mit den beiden kleinen Kindern daheim sei, wie alleine sie sich fühle, dass der Mann keine Hilfe sei, dass sie ihr altes Leben vermisse, dass niemand ihr beistände, wie ihre Eltern sich damals scheiden lassen haben, wie die Kinder viel schreien, wie schlimm der Lockdown im Rahmen der Corona Pandemie für sie gewesen sei. Und sowieso.
Ich fühle mich überfahren und versuche zu strukturieren. Doch ein klares Ziel lässt sich nicht benennen. Ich biete verschiedene Hilfestellungen je nach vorgetragenem Problem, doch ich blitze überall ab. So verlaufen viele Stunden während ihres Klinikaufenthalts und als sie austritt, hat sich nichts gebessert.
Frau Loser gehört zum Typ der Klägerin. Es fällt es leicht, ihre diversen Probleme vorzutragen. Sie wälzt und suhlt sich und kommt vom Hundertsten ins Tausendste. Selbstverständlich darf das auch sein, natürlich darf auch mal geklagt werden, manchmal ist das nicht verkehrt punkto Psychohygiene. Doch es gelingt ihr nicht, mit mir ein Ziel zu definieren, geschweige, sich auf eine meiner Ideen einzulassen. Sie klagt, sieht sich als Opfer, erwartet Hilfe, die aus dem Himmel fallen soll. Sie selbst unternimmt keinen konkreten Schritt in Richtung einer möglichen Lösung.
Die Gespräche sind wenig produktiv. Das beste, was ich für Frau Loser tun kann, ist sie und ihre schwierige Lebenssituation zu würdigen und Verständnis für sie aufzubringen. Sie immer wieder auf mögliche Lösungen hinzuweisen, ihr Werkzeuge anzubieten. Dies kann der erste Schritt dahingehend sein, dass eine Klägerin wie Frau Loser zu einer Kundin wird.
Sind Sie Besucher:in?
Herr Berger lehnt lässig nach hinten, die Beine ausgestreckt. Er erzählt mir, dass seine Frau der Meinung sei, dass er therapeutische Begleitung benötige. Er selbst denke das nicht, doch seine Frau halte ihn für depressiv. Sicherlich sei viel passiert in letzter Zeit. Er habe seine Arbeitsstelle verloren und sei nun arbeitslos gemeldet. Ihn störe das aber überhaupt nicht. Endlich könne er sich ausruhen. Er verbringe derzeit viel Zeit daheim mit seiner Frau, was früher nie der Fall gewesen sei. Sie würden sich häufig streiten. Wenn überhaupt, dann müsse seine Frau zu mir. Sie nörgele an allem rum, lasse ihm kein gutes Haar.
Besucher wie Herr Berger können meist kein klares Problem oder Ziel für die gemeinsame Arbeit benennen. Meistens werden sie von jemand anderem geschickt - bei Herrn Berger war es die Ehefrau. Würde diese befragt werden, käme wahrscheinlich eine Problembeschreibung zum Vorschein.
Die Therapie des Stellvertreters (in diesem Fall Herr Berger) des eigentlichen Problemträgers (in diesem Fall vermutlich Frau Berger) bringt meist nur insofern etwas, als dass dem Stellvertreter Inputs im Umgang mit dem Problemträger gegeben werden können.
Selbstverständlich verhält es sich anders in Zwangskontexten. Wenn bspw. eine Therapie gerichtlich angeordnet wurde, wird die oder der Betroffene ebenfalls von jemandem geschickt. Dies ist eine andere Situation.
Sind Sie Co-Therapeut:in?
Frau Hausmann hält im Erstgespräch eine lange Liste in ihren Händen. Sie habe sich im Vorfeld Gedanken über unser Gespräch gemacht, erzählt sie mir. Sie habe herausgefunden, was das Problem sei und mehrere Möglichkeiten erarbeitet, diesem zu begegnen.
Grundsätzlich sind dies angenehme Gespräche. Frau Hausmann, die ich zum Typ der Co-Therapeutin zähle, hält mich dabei für eine Expertin, deren Absegnung ihrer eigenen Lösung sie (noch) für nötig hält. Meine Arbeit besteht zunächst darin, zu prüfen, ob ihre Lösungsideen dem Problem standhalten und wenn nein, Alternativen zu erarbeiten, wenn ja, ihr zu versichern, dass Sie selbst die Expertin sei.
Was bedeutet das für Sie?
Ehe Sie sich für eine Beratung oder Therapie anmelden, fragen Sie sich: Welchem dieser vier Beziehungstypen entspreche ich aktuell?
Bin ich eine Kundin oder ein Kunde und möchte Lösungen für meine Probleme erarbeiten? Dann melde ich mich vorbehaltlos zur Therapie an.
Bin ich eine Klägerin oder ein Kläger, möchte mein Leid klagen und erwarte, dass die Hilfe von aussen kommt? Dann melde ich mich zwar an, behalte aber im Hinterkopf, dass Therapeuten nur Hilfe zur Selbsthilfe geben können. Denn Wandel ist eine Tür, die nur von innen geöffnet werden kann.
Bin ich eine Besucherin oder ein Besucher und werde geschickt? Dann schicke ich lieber diejenige Person, die mich schickt.
Bin ich eine Co-Therapeutin oder ein Co-Therapeut und erwarte Absolution meiner bereits erarbeiteten Lösungsideen? Dann kann ich die Lösungsideen entweder zunächst einer Fachperson vorstellen oder direkt in die Umsetzung der Lösungsideen einsteigen.
Der Beziehungstyp kann sich ändern, er ist nicht in Stein gemeisselt. Prüfen Sie primär, wo Sie aktuell stehen. Wenn Ihnen der eigene Beziehungstyp gemäss dieser Typologie nicht gefällt, fragen Sie sich: Was kann ich tun, um ihn zu ändern? Überlegen Sie sich konkrete Verhaltensweisen und üben Sie diese aus.
Lesetipps
De Shazer, S. & Dolan, Y. (2008). Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Carl-Auer: Heidelberg.
Autorin
Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M.