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Was heisst Psychosomatik?

"Das ist wahrscheinlich psychosomatisch." sagte der Arzt zu Maja. Was er damit meint, das lesen Sie in diesem Blog-Beitrag.


Maja hat Kopfschmerzen


Seit einem knappen Jahr leidet die 18jährige Maja an Kopfschmerzen. Bis dahin war sie eine sehr ambitionierte Gymnasium-Schülerin und Leistungssportlerin gewesen. Das Abitur fände in einem halben Jahr statt. Doch seit dem Beginn der Kopfschmerzen besuchte sie die Schule nur noch unregelmässig, schliesslich gar nicht mehr, den Sport musste sie aufgeben. Es steht in den Sternen, ob sie das Abitur erreichen wird. Sie verbringt die meiste Zeit des Tages daheim. Die Eltern wissen nicht mehr, was tun. Was ist da los?



Was bedeutet Psychosomatik?


Sicherlich haben Sie schon Ausdrücke gehört wie: "Sie findet etwas zum Kotzen", "er erstarrt vor Angst", "etwas hat ihr den Appetit genommen", "ihm blieb die Luft weg" oder "ihr schmerzt das Herz vor Liebeskummer". Es gibt viele weitere.


Diese alltagsüblichen Worte spiegeln wider, was mit Psychosomatik gemeint ist: Zwischen der Seele (griechisch: Psyche) und dem Körper (griechisch: Soma) besteht eine Beziehung. Psyche und Körper sind in regem Austausch miteinander. Dass dies so ist, ist völlig normal und gesund. Die Psychosomatik hat zunächst nichts mit Krankheit zu tun, sondern dahinter verbergen sich völlig gewöhnliche Prozesse.


Der Schriftsteller Christian Morgenstern formulierte es so: «Der Körper ist der Übersetzer der Seele ins Sichtbare.»


Was sind psychosomatische Störungen?


Wenn das Wechselspiel zwischen zwischen Psyche und Körper gestört wird, können sich psychosomatische Symptome einstellen und ab einer gewissen Schwere und Dauer kann es sich um eine psychosomatische Störung handeln.


Welche psychosomatischen Störungen gibt es?


Es gibt verschiedene Arten von psychosomatischen Störungen. Zu unterscheiden sind:

  • Alltagssymptome: Solche Symptome sind häufig, wir erleben sie täglich. Wenn das Herz schneller schlägt, weil wir Angst vor einer Prüfung haben, wenn einem beim Anblick einer hübschen Frau der Atem weg bleibt, wenn jemandem beim Halten eines Vortrags die Knie weich werden. Psychosomatische Alltagssymptome sind wie Blitze am Himmel, da und gleich wieder weg.

  • Somatische Belastungsstörung: Bleibt ein psychosomatischer Blitz lange am Himmel kleben oder kehrt er immer wieder zurück, wobei er Leiden und Beeinträchtigungen auslöst, kann es sich um eine somatische Belastungsstörung handeln. Dabei liegt mindestens ein körperliches Symptom vor, das medizinisch nicht oder nicht ganz erklärt werden kann. Dazu kommen übertriebene Gedanken, Gefühle oder Verhaltensweisen, die mit dem Symptom zusammenhängen. Typischerweise hält dieser Zustand länger als sechs Monate an.

  • Krankheitsangststörung (Hypochondrie): Im Zentrum dieser Störung steht eine Sorge vor körperlichen Erkrankungen, wobei sich Betroffene auf übertriebene Weise mit dieser Möglichkeit beschäftigen. In der Regel sind keine körperlichen Symptome vorhanden oder höchstens leichte.

  • Konversionsstörung und dissoziative neurologische Symptomstörung: Bei dieser Störungsgruppe findet eine Umwandlung statt und zwar verwandelt sich ein psychischer Konflikt in ein körperliches Symptom. Bei der Dissoziation werden Dinge, die eigentlich miteinander verknüpft sind, voneinander losgelöst. In der Regel sind Bereiche der Willkürmotorik und der Sensorik aus psychischen Gründen beeinträchtigt. Lesen Sie hier mehr über dissoziative Störungen.

  • Psychische Faktoren, die eine Krankheit beeinflussen: Schliesslich gibt es erklärbare körperliche Krankheiten, die durch psychische Faktoren verschlimmert werden. Ein Beispiel ist die Neurodermitis, deren Auftreten mit psychosozialem Stress zusammenhängen kann.


Welcher Körperteil ist betroffen?


Prinzipiell kann alles in und am Körper von einer psychosomatischen Störung betroffen sein. Klassische Problemfelder aus der Psychosomatik sind: Herz-Probleme, Magen-Darm-Probleme, Atemwegsprobleme, Schmerzen, neurologische Probleme, Hautprobleme, Probleme des Immunsystems, Essstörungen sowie geschlechtsspezifische Probleme. Oft liegt auf irgendeine Weise eine Prägung im Sinne einer Schwachstelle vor, eine Art Organwahl, woraufhin sich der psychische Konflikt darauf verlagert.


Wie entstehen psychosomatische Störungen?


Es gibt eine Reihe von Punkten, die zur Entstehung einer psychosomatischen Störung beitragen. Dazu gehören:

  • Individuelle Risikomerkmale.

  • ein spezifischer Zeitpunkt und Auslöser wie bspw. negative Lebensereignisse.

  • Schwachstelle oder Prägung.

Darüber hinaus gibt es aufrechterhaltende Bedingungen.


In anderen Worten: Meist ist es ein multifaktorielles Gefüge, das zur Entstehung einer psychosomatischen Störung führt. Oft kommen Risikofaktoren, auslösende Ereignisse plus eine Schwachstelle oder Prägung zusammen.


Wer darf eine Diagnose stellen?


Die Diagnose einer psychosomatischen Störung darf ausschliesslich eine Fachperson stellen, das heisst entweder die behandelnde Ärztin oder die Psychotherapeutin. Die Stellung einer Diagnose erfolgt stets erst nach umfassender körperlicher Untersuchung. Es führt kein Weg an einer klaren Diagnosestellung vorbei. Ohne Diagnose erfolgt keine Behandlung.


Auch wenn keine medizinisch-körperliche Diagnose gestellt werden konnte, bedeutet das nicht, dass es sich nicht doch um eine körperliche Krankheit handelt. Vielleicht eine, für die noch kein Messverfahren existiert, oder eine, die noch nicht bekannt ist. Es gibt keine Sicherheit. Eine körperliche Krankheit kann einem blanden Befund zum Trotz die Ursache sein.


Nichtsdestotrotz ist der folgende Punkt sicher: Die Forschung zeigt eindeutig, dass Psychotherapie bei unerklärbaren körperlichen Symptomen wirksam ist und das Wohlbefinden der Betroffenen steigert. Psychotherapie ist wirksam.


Welches Verhalten sollten Betroffene nicht ausüben?


Es gibt eine Reihe von Verhaltensweisen, die Personen mit psychosomatischen Störungen zeigen, die jedoch nicht förderlich sind und sogar zur Aufrechterhaltung beitragen können:

  • Doktor-Hopping: Betroffene konsultieren Fachperson um Fachperson auf der Suche nach der einen Erklärung. Doch sie finden niemanden, der weiterhelfen kann.

  • Schonung: Sich nach einem Beinbruch zu schonen, ergibt Sinn. Der Knochenbruch braucht Zeit, zu heilen. Sich bei einer psychosomatischen Störung zu schonen, bewirkt das Gegenteil. Die Symptomatik verschlechtert sich und/oder es treten Krankheitsgewinne ein. Durch das Schonverhalten entkam bspw. Maja dem Schulstress.

  • Sicherheitsverhalten: Betroffene verlassen das Haus nicht ohne Handy oder nur in Begleitung einer anderen Person.

  • Kommunikation: Entweder verstummen Betroffene oder aber sie sprechen schwerpunktartig über die eigenen Körpersymptome. In beiden Fällen ist die Kommunikation verändert und das soziale Leben auf eine Probe gestellt.

  • Body Checking: Betroffene überprüfen immer wieder den eigenen Körper, bspw. durch tasten oder wägen. Gesucht wird eine Veränderung jedweder Art, die auf eine Krankheit hinweist.

  • Gesundheitswissen: Betroffene suchen entweder verstärkt nach Gesundheitswissen, indem sie sich bspw. Doktor Google bedienen, oder sie vermeiden jegliches Wissen.

  • Durchhalteverhalten: Betroffene verringern die Belastung nicht trotz klarer Anzeichen von Überlastung. Das Durchpowern führt zu Abnutzung, bis irgendwann nichts mehr möglich ist.


Wie ging es mit Maja weiter?


Maja zeigte zunächst ein Schonverhalten und blieb der Schule über mehrere Monate fern (Schulabsentismus). Dies stellte für sie einen Krankheitsgewinn dar, da der Schulbesuch mit massivem Stress verbunden gewesen war, den sie so vermied. Weiter entwickelte sich ein Doktor-Hopping. Sie suchte immer wieder neue medizinische Fachpersonen auf, stets mit der Hoffnung, dass die nächste Person Rat weiss. Dies war nicht der Fall. Erst die Vorstellung bei einem Psychotherapeuten, ein Termin, gegen den sie sich anfangs gesträubt hatte, zeigte Wirkung. Sie erlernte einen neuen Umgang mit den Kopfschmerzen. Sie erkannte Frühwarnsignale, die sich im Vorfeld von Kopfschmerzen einstellten, woraufhin sie Entspannungsübungen durchführte. Sie lernte, dass das Schonverhalten genau das Falsche war und gab es auf. Ihr Psychotherapeut nahm ihr Leistungsdenken ins Visier und es gelang ihm, es abzumildern. Er brachte ihr neue Strategien im Umgang mit Stress bei, sodass sie der Schule nicht mehr fernbleiben musste. Sie bestand ihr Abitur auf Anhieb und studiert mittlerweile Kunstgeschichte.


Lesetipps


Krammer, S. (2022/im Druck). Psychosomatische Störungen verstehen. Ein psychologischer Selbsthilfe-Ratgeber. Kohlhammer: Stuttgart.


Autorin


Dr. phil. Sandy Krammer, LL.M.

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